Teil 1: Die Vorbereitungsphase
Die Wirtschaft wächst national wie international – allen Ankündigungen von Strafzöllen oder sogar angeblich drohenden „Wirtschaftskriegen“ zum Trotz – immer weiter zusammen. Die Wertschöpfungskette basiert heute auf einem komplexen Geflecht aus Zulieferern, Veredlern und Verarbeitungsunternehmen, wechselseitige Abhängigkeiten nehmen zu. Sicher geglaubte Machtpositionen können sich dabei sehr schnell verschieben. Viele Unternehmen reagieren darauf, indem sie zumindest in langfristig angelegten Lieferbeziehungen egal ob einkaufs- oder vertriebsseitig einen kooperativen Verhandlungsansatz wählen. Trotzdem soll natürlich die Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleiben und dem Druck ständig Einsparpotentiale zu identifizieren und die Kosten zu senken Rechnung getragen werden.
Wie also diesen Widerstreit lösen – auf der einen Seite die Lieferantenbeziehung pflegen und verbessern, auf der anderen Seite knallhart Rabatte fordern oder sich dieser Forderung ausgesetzt sehen? Eben hier bietet ein am Harvard-Konzept orientierter Verhandlungsansatz viele Vorteile. Es kann in der Sache hart verhandelt werden, da das Sachthema von der Person des Verhandlers getrennt behandelt wird. So kann unabhängig vom Inhalt der Verhandlung die Kunde/Lieferantbeziehung verbessert werden.
Egal welche Art der Verhandlung umgesetzt werden soll, gerne wird – z.B. aus Zeitgründen oder Bequemlichkeit – die extrem wichtige Vorbereitungsphase eingespart, obwohl diese erfahrungsgemäß einen großen Teil des Erfolgs ausmacht. Dabei ist die Vorbereitung zumindest im Fall des Harvard Ansatzes leicht zu standardisieren und stets sehr ähnlich. Bei einem entsprechend aufgestellten Unternehmen bzw. mit geschultem Personal ist die Vorbereitung daher sehr zeiteffizient durchzuführen. Stark vereinfacht müssen lediglich aus den eigenen Positionen die dahinterliegenden Interessen entwickelt werden, bereits getätigte Aussagen der Vertragspartnerseite darauf abgeklopft werden, ob es sich um Interessen oder Positionen handelt. Ggf. wird sich überlegt, wie der Verhandlungspartner aus seinen Positionen Interessen entwickeln kann. Schlussendlich werden Handlungsoptionen und mögliche „Win-Win“ Situationen ausgearbeitet, die dann im Gespräch gemeinsam mit dem Vertragspartner erörtert werden können.
Berücksichtigt werden sollte, dass es stets unterschiedliche, vielschichtige Interessenlagen gibt: die Person des Verhandlers mag andere Interessen und Ziele haben, als das von ihm vertretene Unternehmen. Nur wenn das eigene Interesse des Verhandlers kongruent ist oder er zumindest direkte Vorteile innerhalb seiner Institution zieht, wird er den „Deal“ günstig darstellen und intern dafür werben. Einfachster Beispielsfall ist der auf Provisionsbasis tätige Verkäufer, der durch einen Abschluss seinen eigenen Verdienst oder Bonus steigern kann oder aber der technische Mitarbeiter, der durch eine innovative Lösung seine Stellung im Unternehmen verbessern kann.
Da die abschließende Vertragsgestaltung bzw. die Rechtsabteilung den gleichen Ansatz pflegen sollte, ist es hilfreich, die eigene Rechtsabteilung entsprechend zu Schulen. Außerdem sollte sie bereits in der Vorbereitungsphase in den Verhandlungsprozess integriert werden. Denn nur wer die eigenen und fremden Interessen verstanden und verinnerlicht hat, kann schlussendlich vernünftige Vertragsklauseln entwickelt, die dem Verhandlungsinteresse entsprechen.